Pflanzenheilkunde

 

Nachdem der Gebrauch von Heilpflanzen beinahe zwei Jahrhunderte lang ständig zurückgegangen war, geschah plötzlich etwas Unerwartetes: Kräuterarzneien, die in den Entwicklungsländern schon immer die wichtigste Form der medizinischen Behandlung gewesen waren, erfreuen sich plötzlich auch in den Industrienationen wieder zunehmender Popularität. Der Grund war, dass viele Menschen, die unter chronischem Stress und einer fortschreitenden Umweltverschmutzung litten, versuchten, ihre Gesundheit dadurch zu erhalten, dass sie Arzneien anwendeten, die im Einklang mit den körpereigenen Abwehkräften arbeiteten. Statistiken belegen, dass immer mehr Menschen in Europa, Nordamerika und Ozeanien erfahrene Pflanzenheilkundler aufsuchen, um sich Kräuter verschreiben zu lassen, die schon ihre Großeltern und Urgroßeltern verwendet haben. So wurden z.B. 1993 in Deutschland mit dem Verkauf von Kräuterarzneien über 3 Milliarden Dollar umgesetzt; der Markt in Großbritannien und Spanien wächst jährlich um 10 bzw. 35 Prozent, und auch in anderen Ländern, etwa in den USA, läßt sich ein ähnlicher Zuwachs beobachten.

Pflanzenarzneien

Die Anzahl und Vielfalt von Pflanzen mit therapeutischen Eigenschaften ist überraschend groß. Man schätzt, dass etwa 70000 Pflanzenarten, von den kleinsten Flechten bis zu den gewaltigsten Baumriesen, schon einmal in irgendeiner Form für medizinische Zwecke verwendet worden sind. Heute nutzt man in der Kräutermedizin der westlichen Welt immer noch mindestens 1000 in Europa vorkommende Pflanzen und außerdem Tausende in Amerika, Afrika, Australien und Ozeanien heimische Arten. In der ayurvedischen Heilkunde (der traditionellen indischen Medizin) werden etwa 2000 Pflanzenarten mit therapeutischen Eigenschaften verwendet, während das chinesische Pharmacopoeia über 5700 traditionelle Arzneien auflistet, von denen die meisten pflanzlichen Ursprungs sind. In der Schulmedizin finden immerhin noch rund 500 Kräuter Verwendung, wenn auch ganze Pflanzen nur selten in Gebrauch sind. Vielmehr liefern die Kräuter das Ausgangsmaterial für die Isolierung oder Synthese konventioneller Medikamente. So wurde das als Herzmittel verwendete Dioxin aus dem Roten Fingerhut (Digitalis purpurea) gewonnen, und die Antibabypille synthetisierte man mit Hilfe von Substanzen, die aus der Yamswurzel (Dioscorea villosa) stammten.

Ökologische Faktoren

Die zunehmende Verwendung von Heilpflanzen kann wichtige Konsequenzen haben. In einer Zeit, in der immer mehr Ackerland brachliegt, da sich die Feldbestellung für die Landwirte nicht mehr lohnt, könnte der organische Anbau von Heilpflanzen durchaus eine Alternative bieten. Die zunehmende Beliebtheit von Kräuterarzneien bedroht allerdings auch die Existenz einiger wildwachsender Pflanzenarten. So ist die Nachfrage nach Amerikanischem Ginseng (Panay quinquefolium) so groß, dass ein Kilo heute rund 1100 Dollar kostet. Noch vor zwei Jahrhunderten kam der Ginseng in den Wäldern des Nordens und Ostens der USA sehr häufig vor, heute gehört er dagegen zu den vom Aussterben bedrohten Arten. Und dieses Beispiel ist keineswegs ein Einzelfall, denn inzwischen sind leider viel Arten auf unserem Planeten in ihrer Existent gefährdet. Die Bedrohung von Pflanzenarten durch Raubbau ist nicht neu. Als Beispiel kann die mit den Möhren verwandte Asant-Art (Ferula silphion) gelten, die bei den Frauen des antiken Rom ein beliebtes Verhütungsmittel war. Und da sich die Pflanze nur schwer kultivieren ließ, wurde sie so intensiv gesammelt, dass sie im 3. Jahrhundert ausstarb. Sollte der Gebrauch von Kräuterarzneien mit der augenblicklichen Geschwindigkeit zunehmen, muss dafür gesorgt werden, dass Hersteller, Lieferanten, Ärzte und Anwender ausschließlich angepflanzte oder zumindest in einer ökologischen Weise gesammelte Pflanzen verwenden.

 

Die Wirkungsweise von Heilpflanzen

 

Viele der zahllosen, weltweit vorkommenden Pflanzenarten werden für medizinische Zwecke verwendet, weil sie Inhaltsstoffe mit einer direkten Wirkung auf den Körper besitzen. Anders als viele pharmazeutisch hergestellte Medikamente bekämpfen Pflanzen eine Krankheit gemeinsam mit den Abwehrkräften des Körpers, so dass sie sowohl in der Kräuter- als auch in der Schulmedizin angewendet werden.

Zweifellos bieten die von der modernen Medizin entwickelten Behandlungsmethoden in extremen Situationen einzigartige Möglichkeiten, Krankheiten zu bekämpfen und Leben zu retten. Im Jahre 1993 beschrieb ein Zeitungsartikel die schrecklichen Bedingungen in einem Krankenhaus in dem vom Krieg erschütterten Sarajevo, der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina. Einer konventionellen medizinischen Versorgung und herkömmlicher Medikamente beraubt, waren die Ärzte gezwungen, eine bekannte europäische Heilpflanze, den Baldrian (Valeriana offtcinalis), anstelle von Schmerz- und Betäubungsmitteln zu verwenden. Nun ist Baldrian eine wirksame Kräuterarznei, um Angst und nervöse Spannungen abzubauen, aber als Analgetikum oder Anästhetikum eignet er sich natürlich nicht. Heute ist die Schulmedizin in der Lage, gefährliche Infektionen zu bekämpfen oder bestimmte Lebensfunktionen auch dann noch aufrecht zu erhalten, wenn andere Behandlungsmethoden versagen. Denn moderne Operationstechniken wie die Mikrochirurgie und die plastische Chirurgie sowie der ganze Bereich der Diagnosehilfen und der heute verfügbaren Apparatemedizin erhöhen die Chancen einer Gesundung nach ernsthaften Krankheiten oder Verletzungen beträchtlich.

Vorteile der Kräutermedizin

Ungeachtet der gewaltigen Fortschritte in der Schulmedizin hat aber auch die Pflanzenheilkunde einiges zu bieten. Wir vergessen oft, daß die Menschheit in der Vergangenheit - von den letzten 50 Jahren vielleicht einmal abgesehen - bei der Behandlung von Krankheiten aller Art fast völlig von Pflanzen abhängig war, angefangen bei einfachen Erkältungen bis hin zu lebensgefährlichen Erkrankungen wie Tuberkulose oder Malaria. Heute gewinnen Pflanzenarzneien wieder an Bedeutung, weil die Wirksamkeit konventioneller Medikamente, etwa Antibiotika, die einst als nahezu universelle Waffe gegen gefährliche Infektionen eingesetzt werden konnten, zurückgeht. Der Grund dafür ist, daß viele infektiöse Krankheitserreger im Laufe der Jahre gegen viele synthetische Medikamente resistent geworden sind. Und so wird heute in einigen Teilen der Erde wieder die Artemisin enthaltende Oing-hao-Pfianze (Artemisia annua) verwendet, um Malaria zu bekämpfen, weil die Krankheitserreger auf eine konventionelle Behandlung nicht mehr ansprechen. Manchmal kann die Kräutermedizin die Schulmedizin aber auch ergänzen, da sie verlässliche und gutverträgliche Mittel gegen chronische Krankheiten liefert. Und so ist die beachtliche Renaissance, die sie momentan in den Industrienationen erfährt, nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß bisher keine wirksamen konventionellen Behandlungsmethoden für viele chronische Krankheiten wie Asthma, Arthritis und Reizkolon existieren. Außerdem sorgt die Angst vor Nebenwirkungen bei einer herkömmlichen Behandlung für eine Suche nach sanfteren Therapiemethoden, denn immerhin sind schätzungsweise 10 - 20 Prozent der Krankenhausaufenthalte in den Industrienationen auf Nebenwirkungen einer konventionellen ärztlichen Behandlung zurückzuführen.

Die richtige Verwendung von Kräutern

Die meisten der gebräuchlichen Heilpflanzen lassen sich gefahrlos nutzen. Einige können jedoch Nebenwirkungen zeigen, so daß sie, wie alle Arzneimittel, mit Vorsicht angewendet werden müssen. Um nachteilige gesundheitliche Folgen zu vermeiden, sollte man bestimmte Pflanzen auf keinen Fall ohne Anleitung eines erfahrenen Pflanzenheilkundlers verwenden. Der Meerträubel (Ephedra sinica) kann beispielsweise bei falscher Dosierung äußerst toxisch sein, und der Gemeine Beinwell (Symphytum officinale), in der Vergangenheit eine sehr beliebte Heilpflanze, steht im Verdacht, in seltenen Fällen schwere oder sogar tödliche Leberschäden zu verursachen. Wenn eine Kräuterarznei vorschriftsmäßig angewendet wird, ist die Wahrscheinlichkeit gefährlicher Nebenwirkungen allerdings sehr gering.

Wirksame Inhaltsstoffe

Die Fähigkeit einer Kräuterarznei, die Funktionen des Körpers zu beeinflussen, geht auf ihre Inhaltsstoffe zurück. Im 18. Jahrhundert begannen Wissenschaftler erstmals, chemische Substanzen aus Pflanzen zu extrahieren und zu isolieren und seither werden Heilpflanzen an ihren Wirkstoffen gemessen. Die Untersuchung isolierter Pflanzeninhaltsstoffe ist von großer Wichtigkeit, da auf diese Weise viele der wirksamsten Medikamente gefunden wurden. So stammt Tubocurarin, das effizienteste uns bekannte Muskelrelaxans, aus der Grieswurzel (Chondodendran tomentosum), und das stärkste aller Schmerzmittel, das Morphium, wird aus dem Schlafmohn (Papayer somniferum) gewonnen. Viele Narkosemittel stammen ebenfalls aus Pflanzen, z. B. Kokain, das wir dem Kokastrauch (Erythroxylum coca) verdanken. Am Ende dieses Jahrhunderts verlässt sich die Schulmedizin bei 25 Prozent ihrer Medikamente aber immer noch auf Pflanzen und nicht auf die synthetische Herstellung, und einige dieser Arzneien gehören zu den wirksamsten Mitteln, die wir kennen. So kann man sich unser Leben nur schwer ohne das Malariamittel Chinin (aus Cinchona-Arten) vorstellen, ohne das Herzmittel Dioxin (aus Digitalis-Arten) oder ohne die Hustenlindernden Eigenschaften des Ephedrins (aus Ephedra sinica), das in vielen frei verkäuflichen Grippemitteln zur Anwendung kommt. Diese und viele andere herkömmliche Medikamente verdanken wir isolierten Pflanzensubstanzen.

Der Wert ganzer Pflanzen

Auch wenn es wichtig ist, die Wirkung einzelner Wirkstoffe zu kennen, so steht im Mittelpunkt der Pflanzenheilkunde - ganz im Gegensatz zur Schulmedizin - doch die Verwendung der gesamten, von Gott gegebenen Pflanze. Ebenso wenig, wie man bei einer in ihre Einzelteile zerlegten Uhr durch eine Identifizierung der wichtigsten Teile darauf schließen kann, wie sie als Ganzes funktioniert hat, kann man durch die Zerlegung einer Heilpflanze in ihre Bestandteile genau erklären, wie sie als Einheit wirkt. Eine vollständige Pflanze ist mehr als die Summe ihrer Einzelteile, und die wissenschaftliche Forschung ist inzwischen in der Lage zu zeigen, daß die Wirkstoffe vieler Pflanzen, z. B. die des Ginkgo (Ginkgo biloba), auf komplexe Weise zusammenwirken müssen, um ihren therapeutischen Effekt zu erzielen. Pflanzen enthalten Hunderte, wenn nicht Tausende verschiedener Inhaltsstoffe, die in einer komplexen Wechselbeziehung stehen. Häufig haben wir - trotz der unbestrittenen therapeutischen Wirkung - keine Vorstellung davon, wie bestimmte Heilpflanzen arbeiten. Der Versuch, begreifen zu wollen, wie eine Pflanze als Ganzes wirkt, läßt sich vielleicht mit dem Zusammensetzen eines Puzzles vergleichen, von dem man nur einen Teil der Stücke hat. Zwar kann es sehr nützlich sein, bestimmte Wirkstoffe einer Pflanze zu kennen, aber manchmal ist eine solche Information allein auch irreführend. So enthalten der Teestrauch (Camellia sinensis) und der Kaffeestrauch (Coffea arabica) ungefähr gleiche Anteile Koffein. Im Tee finden sich jedoch sehr viel größere Mengen an Gerbstoffen, die dem Tee seinen strengen Geschmack geben. Diese Substanzen sorgen dafür, daß weniger Nährstoffe und Drogen über den Darm in den Blutkreislauf aufgenommenen werden und damit auch weniger Koffein. Aus diesem Grund empfinden die meisten Menschen Tee weniger anregend als Kaffee. In diesem Beispiel sind zwei wichtige Aussagen über die Kräutermedizin enthalten: 1. Die Erfahrung eines Pflanzenheilkundlers oder eines Patienten liefert oft die zuverlässigste Information über die medizinische Wirkung einzelner Heilpflanzen. 2. Der Wert eines Heilkrauts läßt sich nicht einfach auf eine Liste seiner Inhaltsstoffe reduzieren.

Pflanzen als Nahrungsmittel und Medizin

Der menschliche Körper ist viel besser auf eine Behandlung mit Kräuterarzneien eingestellt als auf die Verwendung isolierter chemischer Substanzen. Wir haben uns über Zehntausende von Jahren gemeinsam mit den Pflanzen entwickelt, und unser Verdauungssystem wie unsere gesamte Physiologie sind darauf abgestellt, pflanzliche Nahrung zu verdauen und zu verwerten. Und oft dient diese nicht allein unserer Ernährung, sondern sie besitzt gleichzeitig eine medizinische Wirkung. Die Grenze zwischen »Nahrung« und »Arznei« ist nicht immer leicht zu ziehen. Sind Zitronen, Papayas, Zwiebeln und Hafer Nahrung oder Arznei? Die Antwort ist einfach - sie sind beides. Zitronen (Citrus limon) verbessern die Widerstandskraft gegenüber Infektionen; Papayas (Carica papaya) werden in einigen Regionen der Erde als Wurmmittel verwendet; die Zwiebel (Allium cepa) lindert Atemwegsinfektionen und Hafer (Avena sativa) fördert die Genesung nach einer Krankheit. So gesehen ist die Kräutermedizin das Produkt einer Aufhebung der Grenze zwischen Nahrung und Arznei. Zwar können wir eine Schüssel Haferbrei essen, ohne uns des medizinischen Nutzens bewusst zu werden, was aber nichts daran ändert, daß trotzdem unsere Ausdauer gesteigert, das Nervensystem gestärkt, die Versorgung mit Vitaminen des B-Komplexes verbessert und die regelmäßige Darmfunktion unterstützt wird.

 

Behandlung mit Heilkräutern

In den unterschiedlichen Kulturen und Heiltraditionen gehen die Pflanzenheilkundler bei der Behandlung ihrer Patienten häufig recht unterschiedlich vor. Die Wirkung der Heilkräuter im Körper ist aber in allen Fällen die gleiche. Insgesamt werden Tausende verschiedener Heilpflanzen auf der Erde verwendet, die einen enormen Anwendungs- und Wirkungsbereich abdecken. Die meisten dieser Kräuter wirken sehr gezielt auf bestimmte Körperteile und eignen sich daher besonders für die Behandlung ganz bestimmter Krankheiten.

Verdauung, Atmung und Kreislauf

Eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten ist häufig die Grundlage für die Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit. Die Redensart »Man ist, was man isst« trifft im Prinzip wohl zu, obwohl Pflanzenheilkundler lieber einschränkend sagen: »Man ist, was man aus seiner Nahrung aufnimmt. « Kräuterarzneien liefern nicht nur Nährstoffe, sondern stärken und unterstützen nötigenfalls auch die Funktionen des Magen-Darm-Trakts, aktivieren die Verdauung und verbessern die Aufnahme von Nährstoffen. Der Körper braucht zum Leben aber auch noch einen anderen »Stoff« - Sauerstoff. Daher kann es sinnvoll sein, die Lungen und das übrige Atmungssystem durch Kräuter zu unterstützen, die die Muskeln der Atemwege entspannen oder die Atmung anregen. Sobald Nährstoffe und Arzneien aufgenommen wurden, transportiert das Blut sie zu den schätzungsweise drei Milliarden Zellen des Körpers. Dabei besitzt der Blutkreislauf die bemerkenswerte Fähigkeit, sich den stets wechselnden Aufgaben anzupassen. In der Ruhephase ist der Blutfluß hauptsächlich auf die Körpermitte ausgerichtet, in der Aktivitätsphase werden dagegen die Muskeln in den Extremitäten besser durchblutet. Kräuterarzneien unterstützen die Blutzirkulation in recht unterschiedlicher Weise. Manche erleichtern den Blutfluß zur Körperoberfläche, andere aktivieren das Herz, und wieder andere entspannen die Muskulatur der Schlagadern und senken so den Blutdruck.

Entgiftung des Körpers und Behandlung der Haut

Nachdem die Nährstoffe vom Blutkreislauf zu den Zellen transportiert wurden, müssen nun die Abfallstoffe beseitigt werden. Häufig sind in unserer belasteten Umwelt große Giftmengen im Körper die Ursache einer Krankheit. Daher verwenden Pflanzenheilkundler eine große Bandbreite reinigender Kräuter, die dem Körper helfen, das Gift auszuscheiden. Das vermutlich beste Beispiel für eine solche Pflanze ist die Klette (Arctium lappa), die sowohl in der westlichen als auch in der chinesischen Heilkunde häufig verwendet wird. Sobald solche Kräuter den toxischen »Ballast« verringert haben, kann der Körper jetzt größere Anstrengungen darauf verwenden, geschädigtes Gewebe zu erneuern und in Mitleidenschaft gezogene Organe zu stärken. Die Haut spielt ebenfalls eine wichtige Rolle für die Gesunderhaltung des Körpers. Antiseptische Pflanzen wirken Infektionen entgegen, während wundheilende Kräuter wie der Beinwell (Symphytum officinale) die Blutgerinnung fördern und so die Heilung von Wunden beschleunigen.

Nervensystem, Endokrinum und Immunsystem

Die Gesundheit hängt auch von einem ausgeglichenen Nervensystem ab. Um das zu erreichen, ist es wichtig, sich gut auf die täglichen Belange des Lebens einzustellen, Ängste, Kummer oder depressive Stimmungen nicht zu groß werden zu lassen, aber auch für ausreichende Ruhephasen und für Bewegung zu sorgen. Neuste Forschunergebnisse lassen den Schluss zu, daß das Nervensystem nicht isoliert arbeitet. Es wird vielmehr vom Endokrinum unterstützt, das die Freisetzung einer ganzen Reihe von Hormonen kontrolliert. So sorgen z. B. Geschlechtshormone nicht nur für Fruchtbarkeit, sondern beeinflussen oft auch Vitalität und Stimmung. Daneben ist das Nervensystem aber auch eng mit dem Immunsystem verbunden, das für Widerstandskraft bei Infektionen sorgt und es ermöglicht, daß man sich von Krankheiten und Verletzungen erholt. Dieses unglaublich komplexe Gesamtsystem, das teilweise elektrisch, teils chemisch oder mechanisch funktioniert, muß harmonisch arbeiten, damit man gesund bleibt. Der gesunde Körper hat eine scheinbar unbegrenzte Fähigkeit, über seine Kontrollsysteme auf äußerlichen Druck zu reagieren. Diese Fähigkeit, sich äußeren Bedingungen anzupassen, während die internen Körperfunktionen konstant bleiben, wird als Homöostase bezeichnet. Viele Kräuter unterstützen das Immun- und Nervensystem sowie das Endokrinum, damit der Körper sich Stress und Belastung aller Art wirksamer anpassen kann, seien sie physischer, geistiger, emotionaler oder sogar geistlicher Natur. Und diese Kräuter sind wirksam, weil sie im Einklang mit dem Körper arbeiten. Einige Kräuter sind adaptogen, d. h., sie haben die Eigenschaft, dem Menschen die Anpassung zu erleichtern und ihn so gesund zu erhalten. Dies geschieht entweder durch die Stärkung des Nervensystems und durch den Abbau nervöser und emotionaler Spannungen oder auch durch die Zusammenarbeit mit den körpereigenen, der Gesunderhaltung dienenden physiologischen Prozessen. Das beste Beispiel für eine solche Pflanze ist der Ginseng (Panax Ginseng), eine wirksame Arznei, mit der starker mentaler oder physischer Stress behandelt werden kann, die in bestimmten Fällen aber auch verwendet wird, um eine entspannende Wirkung hervorzurufen, z.B. für einen ruhigen Schlaf zu sorgen.

 

Komplexe Naturarzneien

Wie erwähnt, ist eine Heilpflanze keine »Wunderdroge« mit einer einzigen Wirkung, sondern eine komplexe natürliche Arznei, die sich aus vielen wirksamen Bestandteilen für verschiedene Organe zusammensetzt. Und durch wissenschaftliche Untersuchung der Inhaltsstoffe, durch klinische Beobachtung und durch das traditionelle Wissen über die Nutzung der Pflanzen kann es uns gelingen, ein abgerundetes Bild über die medizinische Verwendungen eines jeden Heilkrauts zu bekommen.

Die Wirkstoffe

Die medizinischen Wirkstoffe einiger Pflanzen sind gut bekannt. So gilt die Kassie seit Jahrtausenden als mildes Abführmittel, und die Echte Aloe soll schon von Kleopatra als linderndes Hautmittel angewendet worden sein. Die Wirkstoffe wurden dagegen erst vor relativ kurzer Zeit isoliert und untersucht. Und eine gewisse Kenntnis dieser Inhaltsstoffe kann durchaus zum Verständnis ihrer Wirkungsweise im Körper beitragen.

Schleime

Viele Pflanzen enthalten aus langkettigen Zuckermolekülen (Polysacchariden) aufgebaute Schleime, die leicht Wasser aufnehmen und dabei zu einer klebrigen, kolloidalen Masse werden. Diese hüllen die Schleimhäute des Verdauungstrakts ein und schützen sie so vor reizenden und entzündlichen Stoffen. Die lindernde und schützende Wirkung der Schleime scheint aber auch auf andere Bereiche zuzutreffen, beispielsweise auf Rachenschleimhäute, Lunge, Nieren und Harnwege. Die Rotulme (Ulmus rubra) ist eine Pflanze mit hohem Schleimgehalt.

Phenole

In diese Gruppe chemischer Substanzen gehört z.B. die Salizylsäure, der natürliche Vorläufer des Aspirins. Salizylsäure ist in vielen Pflanzen vorhanden, etwa in der Scheinbeere (Gaultheria procumbens) oder der Silberweide (Salix alba). Ein anderes Phenol ist Thymol, ein Inhaltsstoff des Thymians (Thymus vulgaris). Innerlich angewendet, wirken Phenole antiseptisch, also entzündungshemmend; bei äußerer Anwendung kommt es dagegen zu Hautreizungen.

Gerbstoffe

Gerbstoffe kommen - in unterschiedlicher Konzentration - in allen Pflanzen vor. In Rinde oder Blätter eingelagert, verleihen sie diesen Pflanzenteilen einen unangenehmen, scharfen Geschmack und schrecken dadurch Insekten und Weidetiere ab. Gerbstoffe ziehen das Körpergewebe zusammen, so dass man sie auch zum Gerben von Leder nutzt. Therapeutisch angewendet, wirken sie ebenfalls und verbessern so den Widerstand gegen Infektion. Besonders reich an Gerbstoffen sind Stieleiche (Quercus robur) und Gerberakazie (Acacia catechu).

Cumarine

Die verschiedensten Cumarine, die in vielen Pflanzen zu finden sind, haben häufig recht unterschiedliche Wirkungen. Das Cumarin des Steinklees (Melilotus officinalis) verdünnt das Blut, während die Furanocumarine des Selleries (Apium graveolens) in Sonnenschutzmitteln zur Anwendung kommen. Das im Zahnstocherkraut (Ammi visnaga) enthaltene Khellin ist dagegen ein wirksames Relaxans für die glatte Muskulatur.

Anthrachinone

Anthrachinone sind die Hauptwirkstoffe in Pflanzen wie Kassie (Cassia senna) und Medizinalrhabarber (Rheum palmatum), die beide bei Verstopfung verwendet werden. Anthrachinone haben stark abführende Wirkung, da sie Kontraktionen der Dickdarmwnad verursachen, so dass etwa 10 Stunden nach Einnahme der Stuhlgang einsetzt. Außerdem machen sie den Stuhl weicher und erleichtern dadurch die Darmtätigkeit.

Flavonoide

Flavonoide haben ein breites Wirkungsspektrum und sind in vielen Pflanzen enthalten. Sie wirken entzündungshemmend und sorgen für einen gesunden Kreislauf, So stärkt beispielsweise Rutin, ein Flavonoid des Buchweizens (Fagopyrum esculentum) oder der Zitrone (Cirtus limon) die Wände der Kapillargefäße.

Anthocyane

Diese Farbstoffe, denen Blüten und Früchte ihre blauen, purpurfarbenen oder roten Früchte verdanken, helfen, die Blutgefäße gesund zu halten. Brombeeren (Rubus fruticosus) und Weintrauben (Vitis vinifera) enthalten beträchtliche Mengen an Anthocyanen.

Glucosinolate

Glucosinolate sind hauptsächlich in Senfpflanzen enthalten. Sie wirken hautreizend und verursachen Entzündungen und Blasen. Bringt man sie in Form von Umschlägen auf schmerzende Gelenke, steigern sie den Blutfluss in dem betroffenen Bereich und sorgen dafür, dass sich dort keine Abfallprodukte ablagern (ein mitentscheidender Faktor bei Gelenkbeschwerden). Glucosinolate setzen außerdem die Schilddrüsenfunktion herab. Beträchtliche Mengen dieser Substanzen sind in Radieschen bzw. Rettich (Raphanus sativus) und im Weißen Senf (Sinapis alba) enthalten.

Ätherische Öle

Die durch Wasserdampfdestillation gewonnenen ätherischen Öle gehören zu den wichtigsten pflanzlichen Inhaltsstoffen. So enthält der Teebaum (Melaleuca alternifolia) z.B. über 60 verschiedene dieser flüchtigen Verbindungen, von denen viele stark antiseptische Wirkungs- besitzen. Einige ätherische Öle, beispielsweise die der Echten Kamille (Chamomilla recutita), enthalten Sesquiterpene, etwa Azulen-Derivate, die eine entzündungshemmende Wirkung haben.

Saponine

Die Saponine werden nach ihrem chemischen Grundgerüst in zwei Gruppen unterteilt: Triteroensapogenine und Steroidsapogenine. Letztere verdanken ihren Namen der Ähnlichkeit mit den Steroidhormonen des menschlichen Körpers. Viele Pflanzen mit Steroidsapogeninen beispielsweise das bekannte Süßholz (Glycyrrhiza glabra), zeigen in der Anwendung eine deutlich hormonelle Aktivität. Triterpensapogenine, beispielsweise aus der Schlüsselblume (Primula veris), sind oft starke Expektoranzien und können außerdem die Aufnahme von Nährstoffen erleichtern.

Herzglykoside

Herzglykoside kommen in verschiedenen Heilpflanzen vor, von denen der weit verbreitete Rote Fingerhut (Digitalis purpurea), der Gelbe Fingerhut (Digitalis lutea) und der Wollige Fingerhut (Digitalis lanata) die bekanntesten sind. Herzglykoside wie Digitoxin, Digoxin und Gitoxin haben einer starken Wirkung auf das Herz, indem sie seine Aktivität steigern oder, wenn nötig, die Kontraktionskraft erhöhen. Herzglykoside wirken aber auch harntreibend und sorgen dafür, dass Flüssigkeit aus dem Gewebe und dem Kreislaufsystem in den Harntrakt überführt wird, was wiederum zu einer Blutdruckssteigerung führt.

Cyanglykoside

Obwohl diese Glykoside den stark giftigen Cyaniden ähneln, haben sie in kleinen Dosen eine deutlich beruhigende und entspannende Wirkungs auf Herz und Muskeln. Cyanglykoside sind in der Rinde der Spätblühenden Traubenkirsche (Prunus seotina) und dem Schwarzen Holunder (Sambucus nigra) enthalten und tragen zur Fähigkeit dieser Pflanzen bei, Reizhusten zu lindern.

Vitamine

Einige Pflanzen enthalten beträchtliche Mengen an Vitaminen. So besitzt die Brunnenkresse (Nasturtium officinale) sehr viel Vitamin E, während die Hagebutten der Hundsrose (Rosa cania) beträchtliche Mengen an Vitamin C enthalten. Die meisten anderen Heilpflanzen weisen zumindest ein paar Vitamine auf, die, selbst wenn die Mengen gering sind, dennoch zur Deckung des täglichen Bedarfs beitragen.

Bitterstoffe

Bitterstoffe sind eine recht heterogene Gruppe von Substanzen, die allein ihr bitterer Geschmack verbindet. Bitterstoffe regen die Sekretion der Speicheldrüsen und Verdauungsorgane an, so dass es zu einer deutlichen Verbesserung des Appetits und zu einer Stärkung des Verdauungstrakts kommt. Das führt wiederum zu einer verbesserten Verdauung und Nährstoffaufnahme und damit zu einer optimaleren Versorgung des Körpers. Es gibt viele Kräuter mit bitteren Inhaltsstoffen, beispielsweise den Wermut (Artemisla absinthium) und das Chirettakraut (Swertia chirata).

Alkaloide

Alkaloide sind eine Gruppe stickstoffhaltiger Substanzen, denen die Aminogruppe (-NH2) pharmakologische Aktivität verleiht. Einige Alkaloide bilden die Grundlage bekannter Arzneien mit erprobter therapeutischer Wirkung. So wird z.B. das Krebsmittel Vincristin aus dem tropischen Immergrün (Catharanthus roseus) gewonnen. Andere Alkaloide, etwa das Atropin aus der tödlich giftigen Tollkirsche (Atropa belladonna), haben eine direkte Wirkung auf den Körper, lindern z.B. Krämpfe und Schmerzen und vermindern Körpersekretionen.

Mineralstoffe

Einige Heilkräuter sind besonders reich an Mineralien, etwa der Ackerschachtelhalm (Equisetum arvense), der einen hohen Anteil Kieselsäure enthält. Der Löwenzahn (Taraxacum officinale) weist dagegen große Mengen an Kalium auf und kann so, im Gegensatz zu anderen Diuretika, die dieses Mineral aus dem Körper schwemmen, einen hohen Kaliumspiegel aufrechterhalten. Viele Pflanzen mit besonders hohen Konzentrationen einzelner Minerale werden allein aufgrund dieser Eigenschaft verwendet. Andere Kräuter tragen nur zur allgemeinen Deckung des Mineralstoffbedarfs bei.